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Mammut

Ein Mammut steht vor den Toren unserer Seelen: Auf dem Weg in den großen Krieg?

Jens Olaf Koch

Wenn man aufmerksam lauscht, kann man bereits bemerken, wie die ständige mediale Teilnahme am russischen Krieg eine Eigendynamik in Gang setzt. In einer online durchgeführten SPIEGEL-Umfrage fanden am gestrigen Mittwoch, dem 02.03., 80 Prozent der Teilnehmenden, dass es noch härtere Sanktionen geben müsse.

Gerade eben, heute am Donnerstagmorgen, lese ich im SPIEGEL, dass erste vereinzelte Stimmen in den USA ein direkteres Eingreifen fordern.

Der Krieg wird vermutlich noch schlimmer werden. Die größte Herausforderung wird darin bestehen, uns davon innerlich lösen zu können. Menschlich ist es vollkommen natürlich, in Wut zu geraten und mit Gegenaggression antworten zu wollen, mitzuleiden und helfen zu wollen.

Aber unsere größte Aufgabe wird sein, uns im Zaum zu halten. Wir leben in einer komplizierten Welt, einer saugefährlichen Welt, in der Dinge unkontrolliert und in rasanter Geschwindigkeit entgleisen können. Jeder Tag führt uns ein Stück weiter in diese Richtung.

Stünde auf der Gegenseite ein 08/15-Irrer, den man mit einem Schlag entwaffnen könnte, wären Krieg oder Tyrannenmord sinnvolle und gebotene Auswege. Aber einen Irren, der letztlich bereits eine atomare Selbstmordweste trägt, diese allen zeigt und darauf hinweist, dass er jederzeit die Zündung in die Hand nehmen und den Daumen schon mal auf den Knopf legen könnte, dem kommt man damit nicht bei.

Es ist schrecklich, aber entweder halten wir es aus, dem Leiden zuzusehen, ohne es militärisch und kriegerisch auf die Schnelle beenden, es somit allenfalls durch humanitäre Hilfe lindern und durch die aktuellen Sanktionen verkürzen zu können, oder wir zündeln mit, ob wir wollen oder nicht. Auf der Gegenseite sitzt leider jemand, der nicht unser Weltbild teilt, nicht unsere Hoffnungen, nicht unsere Wünsche, nicht unsere Gefühle.

Jeder, der sich ein wenig in Psychologie auskennt, weiß, dass man seelischen Schmerz hervorragend durch Wut unterdrücken kann, um ihm in der Tiefe auszuweichen.

Unsere menschliche Natur ist die größte Gefahr. Jetzt geht es darum, sich extrem besonnen zu verhalten.

Wir müssen uns dem Schmerz stellen und annehmen, denn ansonsten wird uns unsere reaktive Wut an den Rand der Klippe führen und ein kleiner finaler Windstoß kann uns in die Tiefe reißen.

Die Dynamik der aktuellen Situation, in Zeiten ständiger medialer Direktverbindung, kann zu einer viel schnelleren und heftigeren Eigendynamik führen, als wir es geschichtlich je zuvor gesehen haben.

Die weltweiten psychischen Nachwirkungen der Corona-Krise, mit dem ständigen belastenden Kampf gegen einen unsichtbaren Gegner, steuern möglicherweise eigene Subprozesse bei: Endlich gibt es wieder Klarheit und einen sichtbaren Gegner.

Möge es einen Ausweg geben. Möge Putin tief im letzten dunklen Eckchen seiner Seele eine letzte, menschliche Regúng entdecken und sich selbst, den Ukrainern, seinem Volk, uns allen, einen Ausweg gestatten. Er ist eine verlorene Seele, der wir in der Hoffnung, dass er eine letzte Lichtquelle in sich findet, Liebe schicken sollten. (Ich weiß, jetzt steigen manche aus.)

Natürlich bin ich nicht so blöd, dass ich nicht weiß, dass diese Hoffnung extrem unrealistisch ist. (Auch wenn es unserer eigenen Seele gut tun wird, es einmal zu versuchen.)

Mögen wir deshalb vor allem darauf hoffen, dass es in Putins Umfeld und in der russichen Bevölkerung genug aufwachende Menschen gibt, die – lieber früher als später – einen Unterschied machen können.

Putin kann letztlich nur von innen gestoppt werden. Von ihm selbst, vielleicht von jemandem in seinem familiären Umfeld, hoffentlich von der Bevölkerung. Aber selbst Widerstand in Volk oder Führungszirkeln garantiert keinen Erfolg: Belarus lässt grüßen. Der Platz des Himmlischen Friedens lässt grüßen. Der 20. Juli 1944 lässt grüßen.

Meine große Befürchtung bleibt dennoch, aller Hoffnung zum Trotz, dass die ganze Chose schief geht. Mein Bauchgefühl war seit vielen Wochen, dass Putin in großem Stil ernst macht und über Leichen gehen wird, allen Putinrelativierern zum Trotz, und es hat mich nicht getrogen.

Leider ist mein Bauchgefühl gerade, dass es der Westen aufgrund menschlich-psychologischer Befindlichkeiten und einer sich selbst verstärkenden, medial unterfütterten Dynamik nicht lange aushalten wird, den Schmerz zu ertragen und sich verlockt fühlt, noch härter zu sanktionieren und noch mehr Waffen zu liefern oder gar selbst aktiver einzugreifen, bis die Gegenseite Ultimaten setzt oder ohne Vorwarnung eskaliert, bis die letzte Möglichkeit, einen Ausweg zu finden, vertan ist.

Mich übermächtigt bisweilen ein Gefühl der historischen Unausweichlichkeit, der Unmöglichkeit, sich als Menschheit schicksalhaften Ereigniswellen entziehen zu können.

Letzte Zuflucht bietet wieder nur die Hoffnung: Dass ich mich irre. Dass ich mich in dem Irren irre oder in der menschlichen Verfasstheit. Dass wir besonnen bleiben.

Helfen, ohne weiter zu eskalieren, und Schmerz zu ertragen: Das sind unsere Aufgaben.

Ein Mammut steht vor den Toren unserer Seelen.

Beitragsbild: Membeth, CC0, via Wikimedia Commons

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